Billy Hutter

Entrümpelung

Abschnitt IX

 

Im Gebirge

Brief an den Vater:

 

An

Herrn Dr. Chr. Naksch

Ludwigshafen a/Rhn

Leuchnerstr.19

 

Kitzbühel, 13.5.52

 

Euer Wohlgeboren!

 

Durch den hiesigen Verkehrsverein erhilt ich Ihre geschätzte Anschrift, woraus ich ersehe, daß Sie Ihren Sommeraufenthalt in Kitzbühel verbringen wollen und auf Privatzimmer reflecktieren.

Ich erlaube mir Ihnen zur Wahl zu offerieren:

Ein 2 Bettzimmer mit Wohnzimmer (S.45.- pro Tag) ferners ein 2 Bett und ein 1 Bettzimmer (18.- pro Bett und Tag). Komplettes Frühstück  S.6.- pro Person. Bad, Fließwasser, große schöne Glasveranda mit herrlicher Aussicht. Über Wunsch ist auch für ein kleines Nachtmahl Gelegenheit vorhanden.

Sollten Sie von meinem Angebot Gebrauch machen wollen, bitte ich um ehebaldige Nachricht damit eine eventuelle Reservierung stattfinden könnte.

 

Hochachtungsvoll: Kraus

 

Im Archiv:

A-4 Blatt mit handschriftlicher Übersicht der Sommerurlaube  1949 –1959:

 

1949 Ottenhöfen

1950 Oberstdorf (Zobel)

1951 Ramsau (Huber) Obersalzberg

1952 Partenkirchen (Keller)

1953 Kitzbühel

1954 Füssen

1955 Kreuth (Schmaus)

1956 Ramsau (Adlerhorst)

1957 Partenkirchen (Keller)

1958 Kitzbühel (Flöhe!)

1959 Ramsau (Buhl)

 

Haus Hermann Buhl, Ramsau

Fließend warmes und kaltes Wasser, Zentralheizung

 

Tagebuch

Samstag, 24.Juli 1954

Urlaubsautotour mit unserem neulackierten Opelauto zusammen mit Eltern von Ludwigshafen über Mannheim, dann auf Autobahn über bei Karlsruhe, bei Pforzheim (Mittagessen als Picknick), bei Stuttgart, Gruibingen (Kaffee), bei Ulm, dann weiter über Ulm, Kempten, Weißensee nach Füssen (Abendessen). Anfangs 2x meine Übernachtung alleine bei Weeren, Haus Biffi, Weidachstr. 32; später 17 x Übernachtung zusammen mit Eltern bei Held, Tegelbergstr.12

 

Vater, Mutter und Sohn verbringen ihre Ferien in den Alpen. Den „Sommerautotouren“ wie Karlheinz sie meist nennt, wird in den Taschenkalendern großzügig Platz eingeräumt. Dem immer dreiwöchigen Urlaub, bevorzugter Monat ist der August, schließt sich regelmäßig eine Woche  bei der Nürnberger Verwandtschaft an. Um die Osterzeit fahren die drei alljährlich einige Tage in den Schwarzwald. Sie sind kräftige Wanderer, bevorzugen aber den breiten Weg. Die Sonnenmützen der Eltern harmonieren nicht mit der Straßenkleidung; der Chemiker hat die Hosen mit Gürtel und Trägern bis zu den Rippen gezogen. Mit den Jahrzehnten werden die Touren, wie bei den Sonntagsausflügen kürzer und werden schließlich fast vollständig durch ein müßiges Umherstreifen mit dem Fahrzeug ersetzt. Cafes mit Seeblick werden angesteuert, kurze Halte an bedeutenden Aussichtspunkten gemacht. Am Königssee fahren sie mit dem elektrischen Motorboot hinüber nach Bartholomä. Mit der Schwebebahn geht es zur Mittelstation und wieder hinab.

Die Planung und Nachbereitung der Touren, die Korrespondenz mit Fremdenverkehrvereinen und Pensionen - es werden günstige Privatunterkünfte bevorzugt, Probleme bereitet die Bereitstellung eines zusätzlichen Einzelzimmers - das Sortieren und Beschriften von Postkarten und Fotos kann getrost als einer von Karlheinzens zentralen Lebensinhalten betrachtet werden.

Schon 1939, als Zehnjähriger hat er die Verwaltung der  Urlaubsprospekte übernommen, das heißt er versieht sie mit  Jahresstempeln und markiert sie mit seinem Namen. Ein kurzer Griff in dieses Schatzkästlein touristischen Schrifttums, die Sammlung reicht  bis zum Beginn der 1960er Jahre und füllt heute einen der Reisekoffer der Familie, fördert einige Juwelen zu Tage, ein Ausschnitt dessen was den Besucher erwartet.

Grüß Gott, lieber Gast !

Die landschaftliche  Schönheit im allgemeinen: „große Mannigfaltigkeit zeichnet die Gegend aus. Die Straßen und Wege sind  mit Bäumen bepflanzt.“(Prospekt Kitzbühel 1939) und im besonderen: „der wildromantische Klobensteinpaß, durch den die Ache sich brausend zwängt“ (Prospekt Schlechting).

Die herrliche Aussicht: „Der Tiefblick auf Mayrhofen (530 m vertikal) gleicht einer Fliegeraufnahme“(1955).  Das gesunde Klima „Die Stärke des Windes ist eine Schwache. Die Luft ist nahezu völlig frei von organischem und anorganischem Staub“ (Kitzbühel 1944). Seine nebelfreie, staublose und bakterienarme Lage (Wiessee). „Im allgemeinen frei von Nebel“ meldet wiederum Kitzbühel, nebelfrei ist Ramsau, fast völlige Nebelfreiheit herrscht auch in Bad Herrenalb. Die Ruhe: „Hier schreckt kein Kraftwagensignal den Wanderer aus seiner stillen Betrachtung auf.“ (Oberstdorf 1942) „Wer stillen Naturgenuß mit einer angenehmen Lektüre verbinden will. der  steigt zum lieblichen Kalvarienberg hinauf“ (Prutz), „bis das Abendglöckchen von der nahen Kirche tönt „(Tannheim 1939). Regionales Handwerk, regionale Kultur und Attraktionen: „Da zeigt sich im Marmorbruch die schaffende Heimat „(Ruhpolding 1939).“Täglich Zither- und Harfenkonzert. „(Plansee), wundervolle Bergkristallsammlung (Meiringen Berner Oberland) Ein großer Erdbeerreichtum am Plansee, ein hübsches Kriegerdenkmal  in Mayrhofen, „seit 1930 ist Dorf Mayrhofen übrigens auch mit einer Schwemmkanalisation versehen“. Das dort alles in Ordnung ist: „Ein anderer großer Vorzug ist das nette Dorf (700 Einwohner), mit den reinlichen Häusern, den sauberen Mietwohnungen und freundlichen Bewohnern“ (Tannheim Tirol). Die deutsche Hotelordnung regelt zeitweise die Beziehungen zwischen Herberge und Gast „Juden nicht erwünscht“ (Tegernsee 1940). Hier also genießen die Gäste aus allen deutschen Gauen in vollen Zügen die Ferien vom Ich (Wiessee 1955).

Wer einmal hier war, der kommt bestimmt wieder. Preise wie im Tal !

 

Montag, 26.Juli 1954

Autofahrt zusammen mit Eltern nach Oberkirch am Weißenssee (Mittagessen); dann Fußtour zusammen mit Mutti (Papa fährt mit Auto) über Sattel zum Alatsee und zusammen mit Eltern rund um Alatsee (Junghans-Armbanduhr gefunden); Autorücktour vom Alatsee über Faulenbach nach Füssen (Kaffee).

 

Cafe Seerose, Badwiessee-Süd

von Karlheinz  1958, 1960, 1961 –jeweils im August – besucht.

 

Neben den Prospekten liegt im Archiv auch eine Sammlung von etwa 600 unbeschriebenen, nicht „gelaufenen“, wie Sammler sagen, Ansichtskarten, überwiegend aus Ferienorten der deutschsprachigen Alpenländer. Die Karten stammen  in ihrer großen Mehrheit wieder aus den  50er, 60er Jahren. Je die Hälfte ist in Schwarzweiß oder in Farbe gedruckt. Soweit sie noch in ihrer ursprünglichen Ordnung vorhanden sind wurden sie in roten und braunen Umschlägen - größer und robuster als die weißen Standardbriefumschläge - gesammelt. Vier rote Umschläge sind beschriftet: „Fürs Album“ Einige andere haben Aufschriften wie „Garmisch-Partenkirchen 1952, 1957. Ramsau 1951,1956, 1959“.

Zwei Umschläge mit insgesamt etwa 50 Karten sind mit der Bemerkung „wegwerfen!“ versehen, ein Vorsatz der offensichtlich, das zu Karlheinzens zweifelhaftem Ordnungssinn,  nicht in die Tat umgesetzt wurde. Ein anderer Umschlag trägt die Aufschrift „fast doppelt“, ein weiterer diese: „doppelt vorhanden. - wegen Zugspitzstempel aufheben.“ Innerhalb der großen Umschläge findet sich ein weiteres Ordnungssystem, kleine Kartenbündel sind in den dünnen, mit Werbung bedruckten Papierhüllen belassen worden, die man in Souvenirläden und Kiosken manchmal erhält:

„Bazar Alpengruß Kleine Scheidegg 2061 m.ü.M., Lies was die Welt liest. Das Beste aus Readers Digest! Auch unterwegs – täglich die Frankfurter Rundschau!“

Viele Karten sind mehrfach vorhanden. Alleine sechzehn sind auf der Rückseite mit „Isenfluh. Sulwald mit Eiger, Mönch und Jungfrau“ bezeichnet. Veröffentlicht wurde hier ein Panoramablick auf die schneebedeckten Berge, im Vordergrund eine Viehtränke neben einer Berghütte, auf fünf der Karten, die sich in keinem weiteren Detail von einander unterscheiden, ist eine braune Kuh an die Tränke getreten. Zwanzig Karten mit der Aufschrift „Lauterbrunnen mit Jungfrau und Breithorn“ zeigen den Blick auf eine Ortschaft im Tal, rechts ein Wasserfall, im Hintergrund Bergmassive. Sechs Karten bilden ein Trio von Wanderern vor dem Hintergrund von Eiger, Mönch und Jungfrau ab. Sieben weitere (Alpengarten, Schynige Platte. Eiger, Mönch und Jungfrau) zeigen einen befestigten Aussichtspunkt, an dem einige ältere Frauen sitzen die freundlich zum Betrachter blicken, daneben wurden zwei Mädchen in Trachtenkleidung postiert. Hinten natürlich Eiger, Mönch und Jungfrau.

Nicht einmal Karlheinz traue ich zu, dass er ein Dutzend identischer Ansichtskarten gekauft hat, zwei, drei oder vier freilich schon („Doppelt vorhanden, da besonders schön“).  So vermute ich, dass eine beträchtliche Zahl der Karten, Zuschriften von Fremdenverkehrvereinen und Zimmervermietern beigelegt wurden. Die selbst gekauften, an einigen Tagen wird auf jeder Hütte und jedem Gasthof eine erstanden, sind wohl unter dokumentarischen - hier gewesen, dies gesehen  und ästhetischen Gesichtspunkten - landschaftliche Erhabenheit - ausgewählt worden. Die Tagebücher werden durch den Abgleich mit den Postkarten über einige Strecken zu Bildergeschichten. Vier, fünf Punkte die Karlheinz an einem bestimmten Tag berührt (Toni Hütte, Kreuzeckbahn) sind durch freilich geschönte -ewig herrliche Weitsicht- Ansichtskarten illustriert.

Wenn er historischen Boden betritt: Autofahrt über Berchtesgaden auf Obersalzberg (Mittagessen); Besichtigung von Hitlers Gutshof, Hitlers Berghof, Goehring und Bormann-Häuser, Kasernen und Hitlers Gästehaus; in Berchtesgaden (Kaffee und Abendessen) 4.August 1951, dann bedarf es der Illustration nicht. Ihr habt die Bilder im Kopf. Karlheinz der vor dem großen, herausgebrochenen Panoramafenster von Hitlers Berghof steht. Am folgenden Tag geht es hinüber zur Scharitzkehl.

 

Die Ordnung der Bilder und des touristischen Materials insgesamt lassen den Plan einer gewaltigen Dokumentation erahnen, (Karlheinz Naksch: „Mein Leben in den Bergen“). Das Anlegen von Alben, Einkleben von Gondelbahn-Coupons, bedruckten Würfelzuckerverpackungen und Restaurantquittungen. Ein Unternehmen das im Ansatz steckengeblieben ist, das aber mit dem vorhandenen Material posthum vollendet werden könnte.

Der Ingenieur Heinrich S., entrümpelt um die Mitte der Neunziger Jahre und als Beispiel für einen perfekteren Dokumentaristen angeführt hat sein Projekt konsequenter betrieben und eine lückenlose Reihe von Alben aus den Zeitraum von 1951 bis 1990 hinterlassen, von denen einige exquisite, zeittypische Einbände aus den sechziger und siebziger Jahren zeigen. Herr S. bewies eine Vorliebe für die norwegischen Fjorde (Kriegserinnerungen?) die er mit Gattin fünfmal  besuchte. Abenteuerlich erscheint eine Busreise durch Frankreich und Spanien nach Nordafrika (auch Kriegserinnerungen ?). In diesem Album befindet sich die  humoristische Photographie „Unser Fahrer Herr Mutschler als Mustafa verkleidet“. In einer kargen Landschaft stehen ein Kamel und Herr Mutschler, der einen Fez trägt und in ein langes hemdartiges Gewand geschlüpft ist. Einige Nordafrikaner verfolgen das Treiben mit ungläubigen Mienen.

 

Tagebuch:

Dienstag, 12.August 1951

Meine Eisenbahnfahrt alleine nach Ehrwald; dann Omnibusfahrt nach Obermoos; dann um 9 Uhr Schwebebahnfahrt zum österreichischen Zugspitz-Berghotel (Kaffee); zu Fuß auf Zugspitz-Westgrat und zurück; dann Fußtour durch Felsstollen zum Schneefernerhaus und weiter über Zugspitz-Westgrat zum Münchener Zugspitzhaus (Mittagessen) (in Wetterwarte) (Kaffee); zurück über Zugspitz-Westgrat direkt zum österreichischen Zugspitz-Berghotel; um 18 Uhr Schwebebahn-Hinunterfahrt.

Im Archiv:

Ansichtskarte: Österr. Zugspitzbahn gegen Ehrwald und Fernpass. Rückseitig Tagesstempel 12. Aug. 1952  Tiroler Zugspitzbahn – Zugspitzgipfel – 2966 m.

 

 

Bayernhau s

Edenkoben

Finkenberg

Füsse n

Gasthaus Reuchtal

Gletscherblic k

Grindelwal d

Hotel Post

Immenhof

Interlaken 1970

Jennerhaus

Jungfraubah n

Kanderthal

Kleine Scheidegg

Langenburg

Schnigge Platte

Sommerberghotel Wildbad